John Locke – Zwei Abhandlungen über die Regierung (1689)

Das erste Werk, was die kapitalistische Bücherei vorstellen möchte, soll das in Anlehnung an Karl Marx als „kapitalistisches Manifest“ gepriesene Werk „Zwei Abhandlungen über die Regierung“ (1689) von John Locke (1632-1704) sein.

Hintergrund

Auch wenn es kein Manifest im eigentlichen Sinne ist, so hat es doch für die Entwicklung der liberalen Demokratie und des Kapitalismus einen begründenden Stellenwert. Vieles, was für die Ideen dieser Systeme auch heutzutage noch prägend ist, war bereits in diesem philosophischen Werk zu finden. Dem Buch wird zudem nachgesagt, dass es die englische Gesellschaftsordnung nach der Glorious Revolution (1688/89), die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1787) und die Französische Revolution (1789) maßgeblich beeinflusst hat. Locke wusste um den Sprengstoff dieses Werkes. Er veröffentlichte es daher anonym und verriet selbst seinen engsten Vertrauten nicht, dass er der Urheber ist. Erst nach seinem Tod wurde dies festgestellt.

Über das Werk

Die erste Abhandlung ist vor allem eine Kritik an dem Werk „Patriarcha“ (1680) des englischen Theoretikers Sir Robert Filmer (1588-1653). Die zweite Handlung stellt für die kapitalistische Rezeption den wichtigen Teil dar. In diesem rechtfertigt und begrenzt John Locke die Macht der Regierung theoretisch. Er geht dabei von einem prä-gesellschaftlichen Naturzustand aus und zieht unter Berücksichtigung der Vernunftbegabung des Menschen Rückschlüsse auf die Rechte des Individuums und rechtfertigt damit und mithilfe eines Sozialvertrages die Existenz von Regierungen. Locke war allerdings auch ein Kind seiner Zeit, was man diesem Werk anmerkt. So finden sich auch einige Gedanken, die mittlerweile abgelehnt oder anders hergeleitet werden. Die Gedankengänge sind in Paragrafen geordnet.

Über den Beitrag

Es werden zentrale Gedanken aus Lockes Werk zusammengefasst und anschließend herausgestellt, wie diese sich mit dem modernen Verständnis von Kapitalismus decken. Aufgezeigt werden soll, wie das Selbstverständnis des Kapitalismus sich bis heute im Wesentlichen nicht verändert hat. Anregung, Kritik & Diskussionen sind gerne gesehen! Schreibt es in die Kommentare.

Der Naturzustand

Nach Locke befindet sich der Mensch im Ursprung in einem Naturzustand. Dieser Zustand wird beschrieben als ein natürlicher Zustand der vollkommenen Freiheit und der Gleichheit (§4). Da alle Menschen in diesem Zustand gleich und unabhängig sind, haben sie alle von der Vernunft her ein gleiches Recht auf Leben, Besitz, Gesundheit und Freiheit (§6). Die natürliche Freiheit gilt hierbei als Freiheit von jeder höheren irdischen Gewalt, sodass man weder dem Willen noch der Gesetzgebung eines anderen Menschen unterworfen sein darf. Eine Beschränkung der Freiheit ist damit nur durch eine freie Übereinkunft legitim (§22).

Auch wenn nicht jeder kapitalistische Theoretiker der schöpferischen Naturrechtslehre Lockes folgt, so enthält der Naturzustand Fundamente des Kapitalismus: Die Gleichheit vor dem Recht; die natürliche Freiheit, verstanden in einer negativen Definition (=Freiheit von etwas, z.B. frei von Zwang und Gewalt); die Achtung der elementaren Menschenrechte Leben, Freiheit und Eigentum und damit verbunden das Verständnis von Menschenrechten als Abwehrrechte sowie die Achtung von Vertragsfreiheit.

Der Kriegszustand

Locke war bewusst, dass sich nicht alle Menschen von selbst an die Rechte halten werden. Dennoch ist der Zustand der Freiheit keine Anomie (§6). Wenn ein Mensch einem anderen schadet, so befinden sich beide im Kriegszustand. In diesem hat der Geschädigte jedes Recht, den Angreifer in dem Maße abzuwehren, wie es notwendig ist, um eine erneute Verletzung auszuschließen (§7). Dies schließt die Tötung eines einfachen Diebes explizit mit ein, solange der Angegriffene davon ausgegangen muss, dass nicht nur sein Eigentum, sondern auch die eigene Freiheit und das eigene Leben in Gefahr sind (§18).

Auch hier finden sich zwei für den Kapitalismus wichtige Grundsätze: Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Recht auf Selbstverteidigung/Notwehr, womit dann selbst Tötungsdelikte einen Rechtfertigungsgrund erhalten können. Allerdings betont Locke, wie auch viele moderne Vertreter des Kapitalismus, dass die Selbstverteidigung dann ihr Ende findet, wenn der Angriff abgewehrt ist und nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich der Angriff wiederholt.
 

Neutrale Autorität

Dass jeder sich selbst verteidigen darf, sieht Locke auch als Problem an. Ihm ist klar, dass ein jeder gegenüber seinen Feinden parteiisch ist und diese daher unverhältnismäßig hart bestrafen wird, wenn er Richter in eigener Sache ist. Um diesen Nachteil entgegen zu treten, soll eine bürgerliche Regierung eingesetzt werden, die als neutraler Richter zwischen den verfeindeten Parteien vermittelt (§13). Ohnehin hilft das Zusammenschließen in Gesellschaften dem Kriegszustand vorzubeugen, da hierin eine neutrale Autorität an der Macht gesehen wird. Gleichzeitig wird mit dem Eintreten in die Gesellschaft der Naturzustand verlassen (§21).

Das Verhältnis von Kapitalismus zu Staat war von Beginn an ein sehr angespanntes. Locke zeigt hier einen Vorteil von Staaten: Über die Belange von Bürgern als neutraler Richter entscheiden zu können. Er übersieht dabei allerdings, dass der Staat selbst ein Akteur ist und damit zwar neutral zwischen Bürgern vermitteln kann, aber nicht neutral zwischen sich selbst und den Bürgern.

Arbeit & Eigentum

Jeder Mensch hat nach Locke das Eigentum an sich selbst und damit auch ein Eigentum an seiner eigenen Arbeit (§27). Darüber hinaus wird weiteres Eigentum angeeignet, indem das Individuum seine Arbeit mit den Materialien in der Natur vermischt, da er damit dem wertlosen Objekt der Natur etwas hinzugefügt hat, also wertschöpfend tätig wird (§28). Die Bedingung des menschlichen Lebens das er essen muss und die Nahrung vor dem Essen immer jemandem gehört macht Privatbesitz notwendig (§35). Des Weiteren ist nach Locke Arbeit der wichtigste Faktor bei der Wertschöpfung (§40).

Schon Locke erkennt das Selbsteigentum und das Prinzip der Erstinbesitznahme, auf denen die ökonomische Theorie des Kapitalismus beruht. Locke bahnt zudem hier erste Überlegungen zur Arbeitswertlehre an, welcher sich spätere Ökonomen und Philosophen, wie z.B. Adam Smith (1723-1790), David Riccardo (1772-1823) und Karl Marx (1818-1883) bedienten. Die Arbeitswertlehre entpuppte sich allerdings als Fehlkonstruktion und wurde erst u.a. von Carl Menger (1840-1921) durch die bis heute gültige subjektive Wertlehre (Grenznutzen) ersetzt. 

Verantwortung

Erwachsen sein heißt für Locke Selbstverantwortung zu übernehmen. Und nur selbstverantwortlich kann die natürliche Freiheit wahrgenommen werden (§61). Die Unabhängigkeit eines Menschen begründet er durch die Vernunftbegabung des Menschen (§63).
Schon Locke erkennt, dass Selbstverantwortung und Freiheit untrennbare Zwillingsbrüder sind. Das eine kann ohne das andere nicht bestehen, was auch durch moderne Vertreter des Kapitalismus immer wieder betont wird.

Er erkennt auch, dass Kinder noch nicht ihre Freiheit wahrnehmen können, da sie für die Selbstverantwortung noch nicht reif genug sind, weswegen Kinder z.B. noch nicht in der Lage sind, weit reichende Entscheidungen zu treffen. Die Vernunftbegabung wird ebenfalls als Voraussetzung zur Freiheit (und daher auch zum Selbsteigentum) erkannt. Auch dies wird von modernen Kapitalisten ähnlichgesehen. 

Die Entstehung von Gesellschaften

Die Menschen sind nach Locke gleich und unabhängig und gleichzeitig auch für die Gesellschaft geschaffen (§77). Wie auch die eheliche Gesellschaft durch einen freiwilligen Vertrag geschlossen wird (§78), wird auch die politische Gesellschaft durch eine freiwillige Übereinkunft begründet (§95). Kinder werden nicht durch die Geburt, sondern durch freiwillige Zustimmung nach ihrer Volljährigkeit zu Mitgliedern einer Gesellschaft (§116).

Fälschlicherweise wird dem Kapitalismus (und dem Liberalismus) oft vorgeworfen, er möchte eine hyperindividualisierte und atomisierte Gesellschaft hervorbringen. Allerdings werden die Vorteile von einem freiwilligen Zusammenschluss von Individuen zu einer Gesellschaft/Gemeinschaft früh betont, was sich bis heute nicht geändert hat. Gleichzeitig lehnt Locke hier auch Kollektivverpflichtungen und Kollektivstrafen ab. Jeder Mensch kann nur für sein eigenes Handeln Verantwortung übernehmen. Kollektivistische Strafkonzepte, wie z.B. Kontaktschuld, werden damit im Kapitalismus vollkommen abgelehnt.

Der Sinn und Zweck von Staaten

Das Wesen des Menschen und seine Rechte (d.h. Leben, Freiheit und Eigentum) lassen sich nach Locke am besten in Gruppen verteidigen, da ohne Organisation feststehende Gesetze, neutrale Richter und eine Gewalt, die den Richtspruch durchsetzt, fehlen. Das Hauptziel des Staatswesens ist damit die Verteidigung von Leben, Freiheit und Eigentum unter Gewährleistung der drei im Naturzustand fehlenden Elemente (§124). Mit dem Eintritt in die Gesellschaft verlässt der Mensch den Naturzustand und gibt damit die Gleichheit und die vollkommene Freiheit auf und verzichtet auf Teile seiner eigenen exekutiven Gewalt, damit die Gesellschaft dies für ihn übernehmen kann, wodurch nach Locke Eigentum & Freiheit besser gewährleistet werden können (§131).
Locke sieht die Notwendigkeit von Gewaltenteilung, durch die die Gemeinschaft auch dem Naturzustand überlegen ist. Der Staat hat lediglich die Aufgabe Leben, Freiheit und Eigentum zu schützen. Auch dies sehen die modernen Kapitalisten ebenso. Einige stellen aber in Frage, ob der Staat für diese wichtige Aufgabe die beste Organisationsform sei. 

Die Rebellion

Grundsätzlich gilt, dass bei ungerechter und ungesetzlicher Gewalt ebenfalls Gewalt entgegengesetzt werden darf (§204). Wenn die Legislative den Zweck, für den sie eingesetzt wurde, missbraucht, so macht sie sich der Rebellion der Bürger schuldig, da sie sich durch ihr Handeln gegenüber den Bürgern in den Kriegszustand versetzt hat, die sie ja eigentlich beschützen sollte. (§227). Daher lassen sich Regierungen, die willkürlich, tyrannisch oder ohne feststehende Gesetze sind, nicht mit dem eigentlichen Zweck von Staaten vereinbaren (§137).

Wenn der Staat seiner Aufgabe (Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum) nicht nachkommt, dann hat er versagt. Die Konsequenz daraus: Die Regierung muss abgeschafft und durch eine bessere ersetzt werden. Dazu müssen die Bürger natürlich in der Lage sein. Kapitalisten stehen daher auch für ein Recht auf individuellen Waffenbesitz. Mehrere 100-Millionen Tote im 20. Jhd., die durch unrechtmäßige Staatsgewalt umgekommen sind, geben dieser Forderung Recht. 

Zusammenfassung

Locke galt weniger als analytisches Genie, sondern mehr als Anwender eines Common Sense, was unter anderem Karl Marx anmerkte. Dier zweite Abhandlung über die Regierung zeigt, dass die wesentlichen Grundlagen des Kapitalismus keinen hohen Intellekt brauchen, um diese zu erfassen. Es reicht der gesunde Menschenverstand.
Zu den Grundlagen, die hier genannt wurden zählen: Die Gleichheit vor dem Recht; Die Achtung der (negativ definierten) natürlichen Freiheit; Leben, Freiheit und Eigentum als die elementare Menschenrechte, die Menschenrechte als Abwehrrechte; die Achtung der Vertragsfreiheit; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; das Recht auf Selbstverteidigung; das Prinzip des neutralen Richters; das Selbsteigentum; das Prinzip der Erstinbesitznahme; die Selbstverantwortung; der Individualismus; die Gewaltenteilung und das Recht auf Waffenbesitz.

Zitate

Die natürliche Freiheit des Menschen liegt darin, von jeder höheren Gewalt auf Erden frei zu sein, nicht dem Willen oder der gesetzgebenden Gewalt eines Menschen unterworfen zu sein, sondern lediglich das Gesetz der Natur zu seinem Rechtsgrundsatz zu erheben. Die Freiheit des Menschen in der Gesellschaft besteht darin, unter keiner anderen gesetzgebenden Gewalt zu stehen als der, die durch Übereinkunft in dem Gemeinwesen eingesetzt worden ist, noch unter der Herrschaft eines Willens oder der Beschränkung eines Gesetzes zu stehen als lediglich derjenigen, die von der Legislative auf Grund des in sie gesetzten Vertrauen beschlossen werden. Freiheit bedeutet also nicht, was Sir Robert Filmer uns lehrt, O.A. 55 (224): »eine Freiheit für jeden, zu tun, was ihm beliebt, zu leben, wie es ihm gefällt, und durch keine Gesetze gebunden zu sein«; sondern: die Freiheit des Menschen unter einer Regierung bedeutet, unter einem feststehenden Gesetz zu leben, das für jeden dieser Gesellschaft Gültigkeit besitzt und von der legislativen Gewalt, die in ihr errichtetet wurde, verabschiedet worden ist. Es ist eine Freiheit, mich in allen Angelegenheiten nach meinem eigenen Willen zu richten, wo jene Regel nichts vorschreibt, und nicht dem unbeständigen, ungewissen, unbekannten und willkürlichen Verlangen eines anderen unterworfen zu sein. Und somit bedeutet natürliche Freiheit auch, keiner anderen Einschränkung als der des natürlichen Gesetzes unterworfen zu sein.

John Locke – Zwei Abhandlungen über die Regierung (1689). § 22.
Deutsche Übersetzung von Hans Jörn Hoffmann (1977)

Obwohl die Erde und alle niedereren Lebewesen allen Menschen gemeinsam gehören, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum. Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas eigenes hinzugefügt. Er hat es somit zu seinem Eigentum gemacht. Da er es dem gemeinsamen Zustand, in den es die Natur gesetzt hat, entzogen hat, ist ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefügt worden, was das gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt. Denn da dieser Arbeit das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters ist, kann niemand außer ihm ein Recht auf etwas haben, was einmal mit seiner Arbeit verbunden ist. Zumindest nicht dort, wo genug und ebenso gutes den anderen gemeinsam verbleibt.

John Locke – Zwei Abhandlungen über die Regierung (1689). § 27.
Deutsche Übersetzung von Hans Jörn Hoffmann (1977)

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